12. Reisebericht vom 10. Maerz 2002 Troncones - Puerto Escondido
Im Land der Bienen und Gewehre
"Que le vaya bien", sagen die Mexikaner zu denen, die gehen. "Dass Sie gut
reisen moegen", und es hoert sich niemals oberflaechlich an, weil die Gruessenden wissen,
dass nicht alle, die abfahren, ihr Ziel erreichen. Solche Wuensche begleiten den Weg, wenn
man in einem Land faehrt, auf dessen Strassen Kreuze mit den Namen derer stehen, die umgekommen
sind.
Die Gruende sind so beilaeufig wie zahlreich. Manche finden eine Kurve nicht, weil sie zu betrunken
sind, manche sterben, weil die Bremsen des Entgegenkommenden schon lange nicht mehr bremsen,
andere ueberleben die Profillosigkeit ihrer Reifen nicht, andere toetet ein Steinschlag. Vielleicht
wurden einige erschossen, weil sie mit den Falschen in Zwietracht lebten.
Wir erfahren nichts als das Ergebnis: Datum der Geburt, Datum des Abgangs, ein dreiteiliger
Name und ein christlicher Spruch. Wir sehen mehr Kreuze am Strassenrand, als uns lieb sein
kann. Die Haeufung hat nichts Zufaelliges.
Doña Amadea, Herbergsmutter waehrend sechs tronconitischer Wochen, sagt mehr als dass
wir gut fahren moegen. Sie bittet Gott, er moege uns schuetzen, sie bittet uns, vorsichtig
zu sein, und sie klagt, dass wir so weit fahren wollen, so weit weg von Troncones, das ihre
Heimat ist und auch unsere sein koennte, wenn wir nur bleiben wuerden. Doña Amadea
weint.
Sie tut es nicht nur, weil wir kuenftig nicht mehr bezahlen werden fuer Uebernachtungen in
ihrem Haus und nicht nur deshalb, weil sie von Bernd Spritzen in den Hintern bekam, von denen
ihr Doktor sagte, sie seien gut gegen die Schmerzen in der Schulter. Doña Amadea weint,
weil ihr der Abschied schwer faellt. Wir weinen auch.
In Troncones haben wir beschlossen, kuenftig nicht mehr als Vierergruppe unterwegs sein zu
wollen. Elisabeth und Benedikt sind vor zwei Tagen voraus gefahren, wir folgen heute.
Die Sonne hat die Berge um Ixtapa noch nicht ueberwunden. Die Strasse auf die Huegel vor der
Carretera Mex 200 liegt im Schatten der Buesche. Wir fahren auf den naechsten Teil der mexikanischen
Pazifikkueste zu.
Die Soldaten am Posten vor Zihuatanejo putzen ihre Zaehne bei den Zelten die etwas entfernt
von der Fahrbahn stehen. Noch duerfen Busse und Autos ungefilzt vorbeirollen. Wir winken den
gruenen Jungs einen Morgengruss hinueber und biegen nach Ixtapa ab.
Die staatliche Tourismusgesellschaft Fonatur hat Hotels wie Betonwuerfel auf das Gebiet einer
Kokosnussplantage gestellt. Schwerleibige US-Amerikanerinnen kurven auf ihrer morgendlichen
Joggingstrecke an rasierten Grasstreifen und eckig beschnittenen Hecken vorbei. Das Pflaster
der Buergersteige glaenzt wie poliert. Wir sitzen an der Bordsteinkante, schwitzen, fuehlen
uns fremd in diesem gebuegelten Stueck Mexiko.
Die Sonne beginnt zu brennen, als wir den Huegel Richtung Zihuatanejo hinauftreten, und sie
wird am Anstieg zum Flughafen fast unertraeglich. Kerstin fragt, wie wir diese Schwuele radelnd
ertragen wollen und Bernd ist sich nicht sicher, ob der Panamericana-Trip eine gute Idee bleibt.
Wir erklaeren unsere Schwaeche mit der sechswoechigen Radabstinenz.
Stunden spaeter setzen wir uns in El Jerinimito zur Siesta unter einen Baum. Er steht vor dem
Haus von Don Jesús. Der 79 Jahre alte Mann sitzt auf einem Stuhl, ebenfalls im Schatten.
Unsere Raeder und ihre Bepackung stoeren seine Mittagsruhe. Er ist neugierig und moechte erfahren,
was uns umtreibt.
Jesús, den seine Freunde Chuchu nennen, hat Zeit seines Lebens als Viehzuechter auf
seinem Rancho gearbeitet. Unser Spanisch reicht nicht, um zu verstehen, wieso ihn boese Menschen
halb tot schlugen. Jesús liess seine Wunden in Mexiko Stadt versorgen. Das hat ihn viel
Geld gekostet, sagt er. Seit dieser Zeit fuehlt er immer wieder Schmerzen, das Arbeiten hat
er eingeschraenkt.
Der Ranchero fragt uns nach der Mauer, die in Alemania steht. Er ist erstaunt zu hoeren, dass
sie 1989 fiel. Als seine Frau, es ist die dritte seiner Heiratskarriere, aus der Haustuer tritt,
ruft Jesús: "Komm her und lerne was!"
Jesus findet, Jungs, die solch lange Radtouren machen, seien "gallos", und Maedchen
muesse man in diesem Fall "gallinas" nennen. Hahn und Henne sind wir also, mit schwarzen
Raedern und roten Packtaschen.
Der Ranchero bietet uns eines seiner Haeuser an. Wir duerften so lange dort wohnen, wie wir
wollen, weil einige seiner Kinder ohnehin in den USA wohnen und die Raeume seither leer stehen.
Wir lehnen ab, weil wir an diesem Tag noch einige Kilometer vorankommen wollen.
Hinter Petatlan, einem niedergewohnten Staedtchen, fahren wir durch Kokosplantagen. Ein Dorf,
in dem sie per Handarbeit Salz aus dem Meer ziehen, heisst "La Salina". Hier machen
sich die Strassenstaende mehr Konkurrenz als anderswo. Unter allen Planen haben sie orangefarbene
Papayas gestapelt und Salz, in Plastikbeuteln zu einem Kilo. Sonst koennen die Einwohner nichts
zum Verkauf anbieten. Nur Papaya und Salz, die im Zentner nur wenige Peso Ertrag bringen. Entsprechend
wirkt das Dorf. Kein Haus besteht aus Ziegel, wir sehen Holzhuetten mit fingerbreiten Schlitzen
in den Waenden, die Daecher sind eingesunken, Kinder teilen sich die Dreckhaufen mit mageren
Hunden und Ferkeln. Hier lebt die Hoffnungslosigkeit. Wer hier geboren wird, wird niemals eine
andere Moeglichkeit erhalten, als die Kraft seiner Haende wie Billigware zu verscherbeln. Maedchen
werden ab ihrer Geschlechtsreife von Schwangerschaft zu Schwangerschaft altern. Die Jungen
werden in die Haengematte oder den Schnaps fluechten. Sie schaffen niemals den Sprung hinter
die Scheiben der schicken Autos, die durch das Dorf, aber an den Einwohnern vorbei, von Badeort
zu Badeort chauffiert werden. Auch in Mexiko leben der Reichtum und die Armut als Nachbarn,
die sich nie treffen.
Die Strasse wirft Hitze in unsere Gesichter, Busse, Micros, Lastwagen und Pkw faecheln warmen
Dunst dazu. An manchen Stuecken der Strasse stinkt es bestialisch nach verfaulendem Fleisch.
Nicht immer koennen wir im Gestruepp die dazu gehoerige Tierleiche entdecken. Die Geier, sie
segeln weit ueber uns, sind mit dem Verzehr dieser Jahresmahlzeiten ueberfordert und suchen
sich nur die schmackhaftesten Bissen aus dem Ueberangebot.
Wir wollten die zweite Etappe eigentlich in Tecpan abschliessen, doch in Colonia Veinte,
eben zwanzig Kilometer vorher, lockt uns ein Schild: "Nuestra calidad es sin fronteras",
loben sich die Besitzer eines Restaurants am Ufer der Lagune. Wo die Qualitaet ohne Grenzen
ist, bleiben wir gern. Wir geniessen Fisch, Krabben, Bier und die Unterhaltung durch die redelustige
Besitzerin, die uns vom Gang ihrer Geschaefte berichtet. In der Karwoche werden viele Touristen
aus der Hauptstadt kommen, sagt sie, das sei die beste Zeit des Jahres. Sie berechnet nichts
fuer den Zeltplatz und laesst uns gratis in einer der Miethuetten duschen.
Die Lagune plaetschert lau, wir hoeren in der Nacht Fischer, die mit den flachboedigen Kaehnen
hinausstaken. Leider moegen auch die Muecken diesen Ort, wir steigen mit dutzenden Stichen
mehr als am Vortag auf die Raeder. Die Stechviecher lassen sich auch durch unser Nelkenoel
nicht vom Blut abhalten.
Wir hatten schon mehrmals Hinweisschilder auf "Restaurant con Alberca" gesehen, uns
aber aus Faulheit nie kundig gemacht, was das bedeutet. In der Mittagspause lernen wir die
"Alberca" schaetzen. Wir legen uns in den Swimmingpool, der mit erstaunlich sauberem
Wasser gefuellt ist. Die Sonne scheint uns kaum noch gefaehrlich.
Spaeter kommen wir nach El Papayo, es wird Zeit, sich um die Uebernachtung zu kuemmern. Im
Ort sehen wir den rot gestrichenen Wachturm, einen Posten fuer "Tourismus und Sicherheit".
Zwei Polizisten stehen davor, an ihren mueden Schultern haengen Gewehre. In dieser Gegend sei
das Kampieren viel zu gefaehrlich, vor allem in der Ortschaft hinter uns und in jener voraus
lebten viel zu viele Spitzbuben, sagen sie. Einen Strand gebe es erst 30 Kilometer weiter suedlich.
Sie halten es fuer eine gute Idee, wenn wir unser Zelt neben ihre Wache stellen. Doch dann
schreitet Arturo ein.
Arturo hat 13 Jahre lang in den USA gearbeitet, nachdem er bei Tijuana illegal ueber den Fluss
gegangen war. Damals ist er 16 Jahre alt gewesen und es hat ihn nicht umgebracht, tagelang
ohne Wasser vor der us-amerikanischen Polizei wegzulaufen, die solche wie ihn gern faengt und
nach Mexiko zurueckbringt. Dann sitzen sie am Rio Tijuana und schauen auf den Stahlzaun und
warten auf eine Gelegenheit, um an die 24 Dollar Stundenlohn zu kommen, von denen im Heimatdorf
erzaehlt wurde. Arturo hatte Glueck. Eine Gringa mit weichem Herzen gab ihm zu trinken und
zu essen. Damals hat Arturo sich versprochen, wenn mal in El Papayo ein Reisender seine Hilfe
benoetigen sollte, werde auch er helfen.
Er laedt uns ins Haus seiner Mutter ein und bietet uns den Garten zum Kampieren an. Wir sollen
dafuer geben, was wir denken. Doña Cecilia, die Mama und Chefin des Hauses, legt Fische
in die Pfanne, knetet Tortillas und waermt Bohnenmus.
Wir gehen zum Dorfladen fuer einige Bier und ein paar Kekse. Sofort ist Kerstin von einer Schar
Schuelerinnen umringt, die soeben aus dem Unterricht kommen. Mehr als alles andere wollen die
Maedchen wissen, warum sie blaue Augen hat. Sowas haben sie noch nicht gesehen.
Doña Cecilia wohnt in einem Haus, dessen Erdgeschoss aus drei Raeumen besteht, Kueche,
Wohn- und Schlafzimmer. Gekalkte Waende, drei Meter hoch und ohne Fenster, halten, so gut es
Ziegelmauern moeglich ist, die Hitze draussen.
Unser Zelt steht neben einem Madonnenaltar. Hinter drei Baeumen, am Ende des Gartens, haelt
die Doña zwei Ferkel in einem Pferch. Davor hat sie einen mageren Hund angebunden. Die
Fleischbringer sollen ihr nicht abhanden kommen.
Arturo geht noch mal zur Arbeit. Gemeinsam mit seiner Mama ist er fuer die Schulspeisung zustaendig.
Morgen wird es Enchiladas fuer die Kinder geben, dafuer muss noch einiges vorbereitet werden.
Spaeter setzt sich die Familie, Doña, Arturo und schweigsame Gattin, zu uns ans Zelt.
Sie lassen sich vom Radfahren erzaehlen. Arturo erklaert den Frauen, wie weit Deutschland von
Mexiko entfernt ist, und dann erzaehlt er, wie anders die USA sind als alles "over here".
"Over here" ist sein englisches Lieblingswort, viel mehr hat er waehrend seines Arbeitsaufenthaltes
nicht gelernt. Arturo liebt die USA und moechte gern dorthin zurueckkehren. Nur eines schaetzt
er gar nicht: Die Freiheit, die Kinder beim grossen Nachbarn geniessen. Er haelt es lieber
etwas schlichter. Einmal in der Woche, sagt er, muesse man den Riemen gebrauchen.
Am folgenden Tag lassen wir es ruhig angehen. Acapulco liegt knapp 50 Kilometer vor uns und
wir wollen diese Stadt keinesfalls am Nachmittag queren. Wir halten in dem Haengemattendorf
Penjamo und fotografieren die Weber, sie stehen, umrahmt von ihren vielfarbigen Matten und
warten auf Kundschaft.
In Coyuca weichen wir von der Mex 200 ab auf eine schmale Teerstrasse, die laut unserer Karte
direkt auf eine Landzunge zwischen Lagune und Meer und weiter nach Pie de la Cuesta, einem
Vorort von Acapulco, fuehrt. Die Kartenzeichner haben allerdings eine Kleinigkeit vergessen.
Als wir in Barra de Coyuca ankommen, endet die Strasse am Eingang der schilfgesaeumten Lagune.
Von hier kommen nur Schwimmer weiter oder Bootspassagiere. Ein Mann, der irgendwas am Strassenrand
arbeitet, weist uns zu einem Haus und an eine junge Frau, die fuer uns den Motor eines der
Kaehne anwirft. Wird dieses Boetchen beide Fahrraeder und uns aushalten? Wir heben das Gepaeck
ueber den Bug und stehen schwankend zwischen den Sitzbrettern, bis die Fahrt am gegenueberliegenden
Ufer endet.
Die Strasse nach Pie de la Cuesta, zehn Kilometer ebener Asphalt, fuehrt durch die zerfransten
Auswuechse der Touristenstadt. Rechts und links stossen unsere Blicke an Mauern, die nichts
als ein paar Palmen und Sand oder trockene Grasbueschel umschliessen. Hier grenzen Grundstuecksspekulanten
ihre Parzellen gegeneinander ab. Sie erwarten, dass die Kueste zugesiedelt wird von jenen,
die es sich leisten koennen, die Mauern noch hoeher ziehen zu lassen, um ihren Reichtum dahinter
zu verbergen. Pie de la Cuesta: Eine Strasse, Hotels und Restaurants, kein Ort zum Leben.
Am Strand treffen wir zum ersten Mal einen Mexikaner, der Deutschland mit Hitler verbindet
und ein Fan dieses Idioten ist. Victor sagt, er habe "Mein Kampf" oft gelesen. Wir
fliehen in die Schweigsamkeit und schauen der Sonne beim Untergehen zu.
Spaeter treffen wir Elisabeth und Benedikt auf der Strasse. Sie zelten auf einem benachbarten
Campingplatz und erzaehlen, dass Elisabeth von einer boesen Magenverstimmung genesen ist und
Benedikt sich einen Hexenschuss eingefangen hat.
Wir sind kurz nach sieben Uhr wieder auf den Raedern und versuchen, Acapulco so schnell wie
moeglich hinter uns zu lassen. Am Malecón goennen wir der Stadt nur einen kurzen Stopp,
um einen Blick auf die Fischer, ihre Ware und die Boote zu werfen. Der Huegel nach "Las
Brisas" macht uns den Plan des schnellen Vorbeifahrens ziemlich schwer. Er zieht sich
sechs Kilometer an der Steilkueste der Bucht hinauf. Zwischendurch geben Haeuser und Mauern
einen Blick auf das hotelgesaeumte Seebad frei, doch auch das entschaedigt uns nur wenig fuer
die beinzermuerbende Kletterei. Wir fragen uns, wie wir jaulen werden, wenn der Weg nach San
Christobal des las Casas durch die Sierra Madre fuehrt. Irgendwann sind wir an der Kuppe angekommen
und brettern am Ausblick auf eine zweite Bucht und die Luxushotels der "Zona Diamante"
vorbei nach Puerto Marques.
Noch einmal wagen wir uns auf eine der Landzungen, die eine Lagune vom Meer trennen, und noch
einmal geht es am Ende nur mit einem Boot weiter. Die Bruecke ist vor Jahren von einer Ueberschwemmung
fortgespuelt worden.
Zum Abend fahren wir in ein Dorf von 350 Einwohnern und halten an einem Restaurant. Die junge
Dueña hat nichts dagegen, dass wir uns unter dem Palmdach vor ihrem Haus einrichten.
Spaeter kommt ihr Mann mit drei Soehnen von der Weide.
Don Abraham ist breit wie die Stiere, die er haelt und von zartem Gemuet. Zu unserem Vergnuegen
spricht er ein Spanisch, dem wir muehelos folgen koennen. Endlich haben wir jemanden gefunden,
dem wir Fragen stellen duerfen, die sich in Wochen gesammelt haben.
Abraham besitzt 2.000 Kokospalmen, die er derzeit jedoch nicht bewirtschaftet. Das copra, getrocknetes
Fruchtfleisch, erzielt einen zu geringen Preis. Vor allem, weil eine "huerta de coco",
ein Kokosgarten, viel Arbeit bedeutet. Der Don braucht viele Arbeiter, um die Palmen zu putzen.
Das bedeutet, jemand muss an den Staemmen hinaufklettern, um die braunen Blaetter mit der Machete
abzuschlagen. Ein harter Job, denn dabei fallen Ameisen, die in den Baumwipfeln leben, in die
Hemdkragen der Arbeiter. Dann muessen die Nuesse geerntet, gespalten, ausgeloest werden. Schliesslich
braucht das Fleisch Trockenzeit und wird danach zur Sammelstelle gefahren. Ein Arbeiter, sagt
der Don, verdient 80 bis 100 Pesos am Tag, ein Zentner copra bringt 300 bis 400 Pesos. Aus
dem Kokosfleisch machen sie Brat- und Sonnenoel, Seife und andere chemische Produkte.
Abraham bestaetigt, dass die vielen Bienenstoecke, die wir seitlich der Carretera gesehen haben,
zur Befruchtung der Palmen gebraucht werden. Ausserdem bringt der Honig den Bauern einen zusaetzlichen
Gewinn. Doch Abraham liebt die Bienen nicht, sie seien zu gefaehrlich.
Der Bauer erzaehlt auch von den zunehmenden sozialen Spannungen die in den Doerfern entstehen.
Viele Jugendliche ueberwinden die Grenze zu den USA und arbeiten eine Zeit lang dort. Sie kommen
zurueck, und glauben, viel Geld in der Tasche zu haben. Nach dem ersten Auto und vielen fiestas
ist das Geld weg, aber der Wunsch nach dem Dollar-Lebenswandel bleibt. Weil er mit Peso-Arbeit
nicht zu halten ist, gehen viele den Weg der Narcos, und das bringt Gewalt in die Doerfer.
Vor dem Zubettgehen sind wir als Krankenschwestern gefragt. Das Hausmaedchen hat sich Chili
in die Augen gerieben. Wir streichen ein wenig Bepanthen auf den roten Augapfel. Den geschwollenen
Rheumagelenken der Doña koennen wir nicht helfen.
Gegen halb acht verabschiedet uns Don Abraham, nachdem er einen Kaffee gekocht hat. Zur Zeit
der Mittagspause zeigt Kerstins Tacho 73 Kilometer, wir sind zufrieden und rasten im Schatten
eines Restaurants, dessen Koechinnen eine hervorragende Pozole und nicht minder gute Quesadillas
servieren. Wie immer macht die Pause muede und wir trampeln lustlos weitere 15 Kilometer bis
Marquelia. Die Stadt scheint uns schmuddelig und der Tag jung, also sagt Kerstin: "Lass
uns weiterfahren."
Etwa fuenf Kilometer spaeter passieren wir wieder mal eine Gruppe von Bienenstoecken und achten
nicht weiter darauf. Doch die Bienen achten umso mehr auf uns. Kaum sind wir nahe genug, greifen
sie an. Nicht Dutzende, nein Hunderte sirren um unsere Koepfe und die meisten haben ein Ziel:
"Stich die Radlerhaut!" Bernd schreit: "Weiterfahren, weiterfahren!!",
und er schlaegt sich im Kampf gegen die verrueckten Bienen die Sonnenbrille von der Nase. Wir
haben Glueck, dass die Strasse huegelab fuehrt, nach wenigen Metern bleiben die Bienen zurueck
und wir muessen nur noch jene erledigen, die sich an uns festgebissen haben. Nun stehen wir
am Strassenrand und die Brille liegt im Bienengebiet. Der Versuch, zu Fuss in das Terrain vorzudringen,
scheitert an einer Vorhut der Insekten. Gluecklicherweise kommt ein Taxifahrer ohne Passagiere
vorbei. Bernd erzaehlt ihm die Geschichte und ueberredet ihn, an die Stoecke zu fahren. Der
Plan: Tuer blitzschnell oeffnen, Sonnenbrille greifen, wegfahren. Doch Taxifahrer haben einen
eigenen Kopf. Der Mann haelt 30 Meter von den Bienenhaeusern entfernt, steigt aus dem Auto
und springt sofort wieder hinein. Mit ihm haben 10 Kaempferinnen das Taxi erobert. Bernd und
der Fahrer schlagen um sich, toeten sie, bis auf eine, die verwirrt an der Rueckscheibe surrt.
Der Taxifahrer hat die Nase voll: "Kauf Dir ne neue Sonnenbrille, Mann. Diese kriegst
Du nie wieder, die sind ja verrueckt, die Bienen. " Als wenn Bernd ihm vorher etwas anderes
erzaehlt haette.
Wir fahren weiter, Kerstin ist ziemlich empoert ueber den insektischen Angriff, der uns etwa
20 Stiche einbrachte.
In einem Dorf, fuenf Kilometer entfernt, laesst eine Ladenbesitzerin uns unter ihrem Palmdach
zelten, wir duerfen gegen geringes Geld auch die Dusche benutzen. Bernd stellt sich an die
Strasse, um nocheinmal mit einem taxista zur Sonnenbrille zu fahren. Kein passendes Auto faehrt
vorbei, bis ein Collektivo kommt, dessen Fahrer sich ueberreden laesst. Tatsaechlich liegt
die Brille an der Stelle, wo sie fiel, die Bienen haben sich zurueckgezogen. Eine neue Brille
haette sicher mehr gekostet, als die 55 Pesos fuer die beiden Fahrer.
Die Bienenattacke hinterlaesst eine schmerzende Hand bei Kerstin, Bernds rechtes Auge ist verschwollen.
Ab jetzt sehen wir die Insektenhaeuser mit einem Kribbeln im Nacken.
Die Strasse schlaengelt sich so ueber die Huegel hin, wir fahren an Feldern vorbei und an Schildern,
die auf Ranchos mit gigantischem Landbesitz deuten. In Cuajinicuilapa mieten wir uns im Hotel
Marina ein und schlafen in einem sauberen Zimmer. Leider beschaeftigt uns die verstopfte Duese
des Kochers bis in die Nacht und wegen ihr koennen wir uns nicht in der Stadt umsehen und nicht
unter ihren Einwohnern, denen man die Abstammung von afrikanischen Sklaven ansieht. Wir kreuzen
am Morgen bald die Grenze zum Bundesstaat Oaxaca. Froh, das riesigen Guerrero hinter uns zu
haben, gruessen wir den Militaerposten mit flacher, offener Hand.
Der Teer der Strasse wird uneben und loechrig. Wenige Kilometer weiter steht eine Herde von
Eseln und Pferden auf der Strasse, wir muessen uns schreiend eine Fahrrinne durch die stoischen
Leiber bahnen.
Ein Huegel bringt uns nach Pinotepa Nacional. Wir halten an einer Strassenkreuzung, um eine
Zigarette zu rauchen und einen Schluck Wasser zu trinken. Ploetzlich toenen hastige Rufe. Zwei
Pickups voller Polizisten halten neben uns. Die Bewaffneten verteilen sich ueber das Strassenkreuz
und mustern, Gewehre im Anschlag, die umliegenden Daecher, auf denen viele Menschen stehen.
Einige der Polizisten durchsuchen die Taschen der zwei Maenner, die zuvor seelenruhig den Rand
einer Verkehrsinsel bemalt hatten. Zum Glueck sitzen wir an einer halbmeterhohen Bordsteinkante,
die uns ausreichend Schutz bietet. So schnell, wie die Polizisten gekommen sind, springen sie
auf ihre Autos und roehren mit quietschenden Reifen davon. Diese Episode verleidet uns das
Staedtchen, dem die Zeichner der Landkarte eine gelbe Umrundung fuer "besonders sehenswert"
zuerkannt hatten.
Wir flitzen den Berg hinab, durch eine Felsenschlucht und in Wellen wieder hinauf, die Sonne
zwingt uns zu einer Mittagsrast. Spaeter wartet ein fieser Huegel auf uns, ueber dessen Gipfel
Santiago Jamiltepec liegt. Hier laeuft das Leben ruhiger als in Pinotepa, wir sehen keine Bewaffneten.
Im Hotel kommt die 18-jaehrige Rezeptionistin an unsere Zimmertuer. Sie ist nicht verheiratet,
ungewoehnlich in den Doerfern Mexikos bei ihrem Alter. Nein, zu einer Ehe hat sie noch keine
Lust, sagt das Maedchen. Sie hat eben erst die Ausbildung zur Krankenschwester beendet. Drei
Jahre Theorie und ein Jahr praktische Arbeit fordern sie in Mexiko vor dem Examen. Das lohnt
sich, denn Krankenschwestern gehoeren zu den gutbezahlten Arbeitnehmern. Alle zwei Wochen bekommt
sie zwischen 3500 und 4000 Pesos, sind etwa 800 Dollar im Monat.
Noch vor sieben Uhr sitzen wir auf den Raedern und geniessen die Abfahrt in die Ebene von Puerto
Escondido. Wir haben uns fuer heute fast 120 Kilometer vorgenommen und wollen den kuehlen Morgen
nutzen. Deshalb halten wir nicht lange auf der Bruecke ueber den Rio Verde, wo wir auf ein
Paerchen Flamingos schauen, das seine Federn schuettelt.
Wir fahren durch die Weidegruende der Oaxaceños und bestaunen das Vieh, besonders die
Stiere. Sie tragen auf dem Nacken ein pralles Fettpolster, stehen wie graue Findlinge auf den
Wiesen und folgen uns bunten Radlgestalten nicht mal mit einer Kopfbewegung. Neben den Muskelbergen
stehen kleinwuechsige Reiher wie weisse Wachsoldaten.
Nachmittags halten wir an einem Laedchen, wo eine zwoelfjaehrige Lady auch drei mexikanische
Strassenarbeiter bedient. Sie erzaehlt kichernd, die Jungs haetten bereits zwei Kisten Bier
getrunken und waeren gerade dabei, den dritten leerzumachen.
Wir hoffen dass sie lange genug weitertrinken, bis wir heil von der Carretera herunter sind.
In einer der naechsten Ortschaften haben sie uns eingeholt. Groelend und hupend biegen sie
vor uns in eine Seitenstrasse. Der Taxifahrer, der dort steht, hat Glueck, dass sein Autodach
recht flach ist. Die Jungs haben vergessen die Tueren der Ladeflaeche zu schliessen und durch
den Schwung in der Kurve pendelt sie nach aussen, knapp ueber das Auto.
Wir stellen uns auf den palmenbeschatteten Campingplatz im Zentrum Puerto Escondidos. Er stoesst
an die Playa Principal, wo Fischer ihren Fang verkaufen. Sehr familiaer und gemuetlich hier,
wir lernen ein paar Norteamericanos kennen, die seit dreissig Jahren am immer gleichen Stellplatz
die sechs Wintermonate verbringen.
Das Touristenstaedtchen zieht die Reisenden an, und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass
wir hier unseren alten Radlkompagnon aus Montreal sowie Elisabeth und Benedikt treffen.