Weihnachten unter Kakteen
Neunter Tourbericht vom 24. Dezember 2001 Ensenada - Guerrero Negro
Wir sitzen auf dem Gehsteig vor einer Baeckerei. Das suesse Brot und der Kaffee aus Styroporbechern
ist ein gelungenes Fruehstueck. Der Besitzer des Sexshops nebenan stellt seine Werbetafeln
an die Strasse. Er hat vor dem Eingang gekehrt, die Kundschaft darf eintreten. Ein Mann kommt
aus der Baeckerei, rundes Baeuchlein, ausgebeulte Hosen, Bart vorm Gesicht. Er schaut auf uns
herunter, schluerft den Kaffee. Woher wir kommen, wohin wir gehen, will er wissen. Wie uns
Mexiko gefaellt. Darauf koennen wir nicht antworten, noch nicht. Der Mann ist vor 24 Jahren
aus den USA nach Ensenada umgesiedelt, und er erklaert den Unterschied zu seiner Heimat in
einem Satz: "In den USA heisst es 'mir, mein und mehr', in Lateinamerika sagt man 'wir
und uns'". Ein Urteil, zu dem wir nicken. Der Mann beschaeftigt sich seit Jahren damit,
Bilder aus Wasser und Oel zu malen. Wir bewundern den 75-Jaehrigen.
Die Mex 1 fuehrt uns aus Ensenada hinaus und sie fuehlt sich nicht mehr so freundlich an, wie
vor der Stadt. Vielleicht sitzen uns die zwei radfreien Tage in den Knien und im Gefuehl. Von
hinten donnern die Lkw heran. Bei aller Eile vergessen die Fahrer selten, Ruecksicht auf die
schwachen Radler zu nehmen. Meistens ziehen sie einen weiten Bogen um uns, ein Truck wartet
minutenlang in einer Kurve, bis die Sicht frei ist und er vorsichtig vorbeibrummen kann. Vielleicht
gehoert das zum machismo: Ruecksicht nehmen auf jene, die schon auf den ersten Blick heillos
unterlegen wirken.
An der Abzweigung zum Dorf Uruapan macht uns das Schild "agues calientes" (Warme
Quellen) neugierig. Wir biegen in die schmale, anfangs geteerte Strasse und fragen ein spazierendes
Ehepaar, wie weit es zu dem Wasser ist. "Gar nicht weit, fahrt in den Ort und dann noch
ein Stueckchen", sagt der Mann. Wir rumpeln den Sandweg entlang, die erste Wellblechpiste
unserer Tour. An fast jeder Ecke weisen "aguas calientes"-Schilder weiter in ein
offenes Tal. Endlich stehen wir - vor einem Duschhaeuschen. An steinernen Troegen waschen Frauen
Waesche, eine Preistafel sagt: "Duschen 5 Pesos; Waesche waschen 10 Pesos".
Der Clou an diesem Ort ist, das Wasser rinnt warm aus der Erde, weiter nichts. Ein Pool, den
wir uns vorgestellt hatten, ist nicht ausgehoben. Zwei Maenner, sie fahren mit einem Pickup
vor, erzaehlen, auslaendische Investoren haetten vor Jahren ein Bad aus Uruapan machen wollen.
Die Dorfbewohner entschieden sich gegen den Rummel. Sie wollen ihr Wasser nach eigenem Gusto
verwenden. Zum Beispiel fuer braune Unterhosen.
Wir beschliessen, in Santo Tomas zu uebernachten, um die groesste Bodega (Weinkellerei) der
Baja zu besichtigen. Der Reisefuehrer hatte verraten, das einzige Hotel sei teuer und der angeschlossene
Campingplatz nicht billig. Benedikt erfaehrt an der Rezeption des "Palomar", das
Doppelzimmer soll 48 Dollar, der Platz fuer ein Zelt 12,5 Dollar kosten. Ein alter, zahnarmer
Mann stoesst zu unserer Beratung und bietet sich an, die Preise neu zu verhandeln. Wenig spaeter
wackelt eine Frau aus dem Hotel und erklaert, fuer uns seien 50 Prozent Rabatt moeglich. Auch
das scheint uns zu teuer fuer einen Platz unter freiem Himmel, von dem es auf der Baja wahrlich
genug gibt.
Inzwischen ist aus Richtung Ensenada ein weiterer Radler angekommen. Jay Mueller lebt als Chemielehrer
in Seattle und will Cabo San Lucas, die Suedspitze der Halbinsel, in 17 Tagen erreichen. Die
Cabos sind mehr als 1.500 Kilometer entfernt. Jay weiss nicht, ob er zwischendurch auf den
Bus umsteigen wird.
Er geht in das Hotelgeschaeft, um ein paar Lebensmittel einzukaufen. Wir sehen ihn wieder,
als wir die Zelte im Huehnerhof eines Ranchos aufstellen. Bernd hatte sich mit der Bitte um
Schlafgelegenheit an einen Bauern gewandt, der mit zwei Freunden eine Wasserpumpe reparierte.
Jay stellt sein Zeltchen neben unsere Burgen. Pro Nase geben wir dem Ranchero 10 Pesos als
Dankeschoen.
Gemeinsam gehen wir, im Ort etwas zu essen zu finden. Das einzige Restaurant gehoert zum "Palomar",
dorthin werden wir keinesfalls gehen, der Preise wegen und aus Prinzip.
An der Hauptstrasse brutzelt Doña Ana in einer Bude Tortas. Sie ist unser Lichtblick,
denn ihr Ofen ist die einzige Alternative zum schmalen Angebot der beiden Minilaeden.
Uns froestelt, denn mit der Nacht ist die Kaelte aufgezogen. Nur Jay fuehlt sich warm, zumindest
am Kopf, denn er hat fuer den Spaziergang den Fahrradhelm nicht abgelegt. Die Haltebaender
baumeln seitwaerts von seinem Kinn, und stumm muemmelt er zwei Tortas mit Kaese und Schinken.
Er versteht mangels Spanischkenntnissen kein Wort von unserer stammelnden Unterhaltung mit
der Doña. Doch Jay ist keineswegs ein Dummkopf. Seine Vorfahren kommen aus Deutschland,
er spricht ein wenig Deutsch und richtig gut japanisch, das er aus Neigung gelernt und bei
einem Studienaufenthalt in Asien vertieft hat.
Wir sitzen wie Schulkinder auf der Bank vor Anas Tortabude, sie verbessert unsere Spanisch-Fehlgriffe
und wir haben Spass, Alltagsdinge zu erfragen. Die Doña erzaehlt, wie die Stadt Tijuana
zu ihrem Namen kam. Vor vielen Jahren stand an ihrer Stelle nur ein Rancho. Dort lebte eine
Frau, die man Tia (Tante) Juana nannte. Mit der Zeit schliffen die mexikanischen Zungen daraus
Tijuana zusammen.
Fuer den kommenden Morgen bietet die Dame uns an, Kaffeewasser heiss zu machen. Das nehmen
wir als besonderes Geschenk, denn als wir aus den Schlafsaecken krabbeln, liegt Raureif auf
der Zeltplane und wir fragen uns wieder einmal, an welchem Punkt unserer Reise es endlich warm
werden wird.
Noch bevor wir von unserem zweiten Kaffeepott aufstehen, stellt sich Doña Ana mit zwei
Toechtern an die Strasse, um den Bus nach Mañadero abzupassen. Vielleicht will sie zur
Messe, schliesslich feiern wir den 3. Advent. Sie verabschiedet sich mit Kuessen von Kerstin
und Elisabeth. Zur bodega fahren wir an diesem Morgen nicht zurueck, Weinbauern werden wir
auch spaeter noch treffen.
Wir radeln in sanfte Huegel und geniessen eine mehr als zehn Kilometer lange Abfahrt. In San
Vicente stopfen wir uns mit Tacos und Grillfleisch voll, und als wir die Bierdosen ansetzen,
fragt uns einer der Maenner, die in der Naehe stehen, ob wir gern mexikanische Gefaengnisse
von innen kennenlernen wollen. Biertrinken an der Strasse ist auch hierzulande nicht gern gesehen.
Kaum haben wir die Dosen in unsere Kaffeetassen geleert, fahren zwei grimmig blickende Polizisten
vorbei. Wir winken ihnen laechelnd zu und bekommen dann erst mit, dass die Maenner, die zuvor
um uns herumstanden und ebenfalls, aber verstohlen, Bier tranken, sich zerstreut haben, unbeteiligt
in Autos sitzen oder ploetzlich mit irgendwas Wichtigem beschaeftigt sind.
Bernd fragt den Meister der Tacos-Pfanne, wie weit es bis nach Colonet ist. Er antwortet unmissverstaendlich:
19 Kilometer. Knapp 200 Meter weiter fahren wir an einem Schild vorbei, das 36 Kilometer bis
Colonet ausweist. Mexikanische Hoeflichkeit, zu antworten, selbst wenn man keine Ahnung hat?
In Colonet ist uns das Hotel erneut zu teuer. Wir kaufen in dem Dorfladen Zutaten fuer das
Abendbrot, Eier, Kaese, Milch und Tortillas, und wir gestehen dem Besitzer unsere Ratlosigkeit.
Er bietet uns das Land hinter seinem Haus an und reicht sofort den Schluessel fuer das Gatter
ueber den Tresen.
Vor 7 Uhr stehen Kerstin und Bernd auf, um die oeffentlichen Duschen des Ortes auszuprobieren.
In der Kaelte der Daemmerung schmerzen die Haende an den Lenkstangen trotz Handschuhen, als
wir die drei Kilometer zu den Kabinen hinausstrampeln. Kaum steht Kerstin unter dem Duschstrahl,
schlurft ein alter Aufpasser aus dem Nachbarhaus heran. Er moechte gern drei Dollar pro Person
einstecken. Sein Argument: "In Ensenada zahlt man vier Dollar fuers Duschen." Den
Hinweis, wir befaenden uns nicht in Ensenada, sondern auf dem Land, ueberhoert er. Die Preisliste
in Uruapan klang anders, und Bernd bietet 10 Pesos (etwa einen Dollar), das Doppelte des Ueblichen.
In der morgendlichen Verschlafenheit hat er die Boerse im Zelt liegen gelassen und nur Scheine
im Geldguertel stecken. Der Alte wird nicht wechseln wollen und so faehrt Bernd die drei kalten
Kilometer zurueck, und stellt sich dann ebenfalls unter die Dusche. Der Waerter wacht vor der
Tuer und spricht mit Kerstin kein Wort. Dann besteht er wieder auf den 6 Dollar, will die angebotenen
Pesos nicht nehmen. Wir lassen sie auf einem Stein liegen und radeln davon.
Die Strecke des Tages bringt uns nach Lazaro Cardenas und in ein Motel, das akzeptable Preise
fuehrt. Matratzen und Duschen in der Naehe sind eine nette Abwechslung, auch die Waschmaschine
ist willkommen, wir leeren unsere Schmutzwaeschesaecke.
Hinter der Stadt fahren wir an einem Rancho vorbei. Eingezaeunt stehen niedrige Wohnhaeuser,
ein Dorf von mindestens 500 Tageloehnern samt Familien. Das wirkt komfortabler als die improvisierten
Zeltlager, in denen in Niederbayern polnische Landarbeiter die Gurkensaison verbringen.
Das Meer begleitet die Strasse und die Landschaft ist karger als in den vergangenen Tagen.
Zum ersten Mal ueberwiegen Kakteen. Sie wachsen buschfoermig und sind die einzigen gruenen
Punkte um uns. Die Erde scheint ockerfarben durch das Gestruepp, das Gras ist vertrocknet und
verweht. Wir sehen wenige Tiere, einmal erhebt sich ein Geier zoegernd von seiner Aasmahlzeit,
als wir naeher kommen.
Wir teilen die Strasse gern mit den Autos. Die Mexikaner hupen, gruessen mit erhobenem Daumen.
Wir geben freundliche Zeichen zurueck, Winki-Winki-Teletubbies auf Radtour.
Die Huegel sind nur mit Schnaufern zu besiegen, Schweiss tropft von Augenbrauen und Nasenspitzen.
Die Sonnenstrahlen prallen ohne Wolkenfilter auf die Erde. Von dort werden sie reflektiert,
wir sind von allen Seiten gut gebraten.
El Rosario gefaellt uns auf den ersten Blick. 5.000 Familien leben in seinem Einzugsbereich,
erfahren wir von Doña Maria. Sie stellt sich zu uns, als wir bei einer anderen Doña
Maria Hotdogs essen. Die Wurstbraterin schneidet schweigsam Tomaten, waehrend ihre Namensvettern
aus ihrem reichen Leben berichtet. Vor allem ihre Erklaerung der Geschichte des Wortes "Gringo"
bleibt in unserem Gedaechtnis. Als Mexiko mit den USA im Krieg stand, so erzaehlt Maria, trugen
die US-Soldaten gruene Uniformen. Die Mexikaner riefen oft: "Green go!", - "Gruen
hau ab!". So entstand eben "Gringo", mit dem vor allem norteamericanos geschimpft
werden.
Fuer die kommenden zwei Tage decken wir uns mit trockenen Kichererbsen, Tortillas, Konserven
und Zwiebeln ein. Bei einer Agua-purificada-Station laden wir zusaetzlich zu unseren Flaschen
20 Liter Wasser in Ortlieb-Saecken auf. Vor allem Kerstin besteht auf ausreichenden Wasservorraeten
fuer den "Desierto central", die "Zentralwueste" der Baja. Mit ihr werden
wir nie in Durstnot kommen.
Wir haben die Baecker Mexikos ueberschaetzt. In El Rosario wird das Brot erst gegen Mittag
gebacken. Fruehstuecken wollen wir trotzdem und muessen warten, bis der Supermercado gegenueber
aufsperrt. Es ist nach 12 Uhr als wir starten, die Sonne brennt heftig. Unser Planungsfehler
erweist sich als besonders gravierend, denn fast sofort beginnen strenge Huegel. Der Tag beschraenkt
sich auf 45 Kilometer arger Plackerei, unser Schnupperpraktikum in der Wueste. Ploetzlich hat
die Flora gewechselt, baumhohe, jahrhundertealte Kakteen stehen neben der Strasse. Die Stachelgesellen
stricken ihre Arme fuer einen immerwaehrenden Schrei nach Wasser in den Himmel, doch von dort
kommt Sonne, fast nur Sonne.
Die Strasse windet sich hinauf und hinab, wir klettern an diesem Tag fast 900 Meter, fahren
300 Meter hinunter. Die Huegel ruhen neben uns wie satte Leguane, zwischen knuspertrockenen
Straeuchern scheint die Ockererde, sonnengebackener Staub. Keiner der auf der Karte blau eingezeichneten
Fluesse fuehrt Wasser. Erst wenn es einmal regnet wird eine Flut durch die arroyos brausen
und alles fortschwemmen, was ihre Wellen zu fassen bekommen.
Beim Restaurant "De los Martires" "Zu den Maertyrern" setzt man uns die
Uebernachtungsgebuehr umstandslos auf die Rechnung. Es gehoert zu einem seit drei Jahren existierenden
Rancho. Kerstin sagt, in diesem bethlehemitischen Ambiente fuehle sie sich zum ersten Mal in
dieser Adventszeit weihnachtlich. Wir koennten Hirten sein, lagern auf dem Feld. Nur die Herde
fehlt und ein Komet als Wegweiser. Wir sind reich an Sternen und Sternschnuppen.
Durch straffere Morgenorganisation gewinnen wir zwei Stunden Fahrtzeit und wir begeistern uns
wieder an dem ausgedoerrten Land. Es wartet bewegungslos auf Regen. Fast bewegungslos, denn
die Kakteen wachsen in zehn Jahren drei bis vier Zentimeter. Nach 100 Jahren beginnen sie,
sich zu teilen. Hinter der Loncheria "La Sonora", in der ein fetter Mann im Unterhemd
uns mit Quesadillas und Huevos verwoehnt, veraendert sich die Landschaft erneut. Rund geschliffene
Felsbrocken bedecken die Erde, sie liegen uebernander wie Spielsteine. Vermutlich sind sie
das Erbe der letzten Eiszeit, als Gletscher die Gegend formte.
Die wenigen Huegelchen bringen uns nicht ausser Atem, wir lassen die Ranchos am Strassenrand
liegen und fahren nach Cataviña hinein. Das Nest erhaelt sich muehsam am Leben. Der
erste Hotelier verlangt zu viel, auf dem Campingplatz fehlt Wasser. Kerstin fragt den Rezeptionisten
des noblen Hotels "La Pinta", der Oase in der Ortschaft, und der Mann gestattet kostenloses
Campen hinterm Haus sowie die freie Benutzung der Toiletten.
An diesem Abend entzaubern wir die Mais-Tortillas. Im Kaufzustand schmecken sie fad und trocken.
Braet man sie in ein wenig Oel, entfalten sie ein koestliches Aroma.
Nach 108 Tageskilometern erreichen wir die Abzweigung zur Bahia de los Angeles, die seit Tijuana
als raetselhafte "Escalera Nautica", "Treppe zum Meer" angekuendigt war.
An diesem Strassen-T hat sich eine winzige Siedlung angelagert. Ein Mini-Restaurant fuer die
Kraftfahrer, ein kleiner Laden und ein Polizeiposten. Ausserdem stehen auf einem gewaltigen
Grundstueck Autowracks in Reih und Glied. In vielen endeten Urlaubstrips us-amerikanischer
Touristen, andere sind Ueberbleibsel von Unfaellen der Einheimischen. Eric-Manuel sammelt diese
Geschichten aus Schrott, und er erlaubt uns, die Zelte auf seinen Grund zu stellen. Wir haben
gesehen, dass Erics Mutter an einem offenen Bein leidet und bieten unsere Apotheke sowie krankenpflegerische
Hilfe an. Zunaechst will die Doña ein Bad nehmen, heisst es, danach gehen Benedikt und
Bernd, einen fachgerechten Verband um das pesostueckgrosse Loch in dem Fuss zu legen. Eric-Manuel
schenkt uns im Gegenzug zwei Sechserpacks Bier. An diesem Abend gelingt das Tagebuchschreiben
sehr fluessig.
Mit einer Zwischenuebernachtung hinter dem Restaurant "El Maurizio" erreichen wir
die langgezogene Gerade der Strasse, die nach Guerrero Negro fuehrt, dem ersten stadtaehnlichen
Ort seit Lazaro Cardenas. Hier wollen wir das Weihnachtsfest verbringen. Aus zehn Kilometern
Entfernung sehen wir die gruen-weiss-rote Fahne Mexikos ueber dem Adlermonument wehen, das
auf den 28 Breitengrad hinweist, an dem sich auch zwei Zeitzonen treffen (suedwaerts von hier
plus eine Stunde) und der die Grenze zwischen den Bundesstaaten Baja California Norte und Baja
California Sur markiert. Hinter dem Militaerposten ruft Kerstin: "Schaut mal, wer da ist!"
An der Pemex-Tankstelle steht ein Auto, von dessen Dach Simon, unser kanadischer Freund, soeben
sein Rad herunterhebt. Wir hatten uns mit den canadian harmonists, die seit San Diego mit Simons
Freundin Marie-Eve radeln, locker fuer Weihnachten verabredet, sie aber auf dem Weg zur Bahia
de Los Angeles gewaehnt.
Nach Umarmungen und Wangenkuessen erfahren wir, dass die Drei in Cataviña kurzerhand
Autostopp begonnen hatten, um uns in Guerrero Negro zu erwischen.
Simon traegt eine Hoteladresse in der Tasche, unter der man billig Herberge finden soll. Der
Besitzer des "Motel Gamez", eine Wolfgang-Ambros-Kopie mit heftiger Liebe zu zwei
weissen, schweineaehnlichen Koetern, verlangt 100 Pesos fuer ein Doppelzimmer. Wir checken
ein, und dann rollt ein Auto auf den Hof, hinter dessen Scheiben Etienne und Marie-Eve grinsen.
Ihre Mitfahrgelegenheit ist zielgenau gelandet. An diesem Vorabend der Heiligen Nacht essen
wir etwa 100 Tacos und sitzen lang zusammen.
Am Morgen des 24. Dezembers wollen Kerstin und Bernd die Familien in Deutschland, bei denen
der Abend schon fast zu Ende ist, mit einem Weihnachtsanruf erfreuen. In einer Farmacia bieten
sie "largas distancias" an und niemand moechte auf das Preisschild "30 Pesos
pro Minute" achten. Bernd telefoniert 11, Kerstin 13 Minuten, und dann staunen sie gemeinsam
mindestens zwei Stunden lang ueber die Rechnung, auf der etwa 150 Mark notiert sind.
Wir hatten mit den Kanadiern besprochen, nachmittags essen zu gehen und fuer den Abend selbst
zu kochen. Wir wollen die Christmette besuchen, und nachdem uns der Hotel-Wolfi erzaehlt hat,
sie beginne um 19 Uhr, sind wir puenktlich in der leeren Kirche. Wir stehen ein bisschen ratlos
vor der Krippe. Ein gebeugter Mann kommt auf uns zu. Es ist Padre Primo, ein 82-jaehriger Comboni-Missionar
aus dem Nons-Tal im Trentino. Elisabeth holt ihr Italienisch raus, doch Primo hat wenig Zeit,
seine Messe beginnt um acht in einer Nachbarkirche. Er laesst uns aber nicht allein, sondern
weist uns an Padre Dario, der soeben die Kirche betreten hat. Dieser Priester, den Amtstitel
"Superiore" verschweigt er nur kurz, ist ein ganz anderer Charakter als der altersmilde
Primo. Quirlig wechselt er zwischen Spanisch und Italienisch, er zieht uns hinueber ins Pfarrhaus,
haeuft Kuchen auf Teller und fuellt Glaeser mit schwerem Messwein. Wir sehen ihn zur Mette
wieder, er traegt das weisse Ornat und liest vor proppevoller Kirche eine lockere Messe mit
einer Predigt, von der auch wir einiges verstehen. Nach dem Abendmahl verabschiedet er die
Gemeinde, doch bevor Dario die Leute aus dem Kirchenschiff entlaesst, weist er auf den Besuch
aus Europa hin, er nennt unsere Namen und fordert zum Applaus auf. Ob uns die roten Gesichter
gut stehen?
Dann tragen wir die vorbereiteten Speisen in Etiennes Kammer. Wir quatschen an diesem Abend
eine einmalige Mischung aus Englisch,Spanisch, Franzoesisch und Deutsch, verstehen uns praechtig
und lassen Bier, Wein und Schnaps kreisen.
Alle haben kleine Geschenke vorbereitet, solche, die zu dem staendigen Gewichtsproblem von
Radlern passen.
Ehrlicherweise muessen wir gestehen, dass die Kanadier fantasiebegabter vorgehen. Etienne hat
fuer jeden zwei Sinnsprueche ausgesucht und auf Zettelchen geschrieben. Wir muessen Suessigkeiten
aus einem Beutel ziehen. Marie-Eve und Simon schenken uns Fotos mit netten Briefchen, auf die
Rueckseiten sind Mexiko-Fahnen gemalt. Der Heilige Abend endet um 5 Uhr morgens in einem vollstaendig
verwuesteten Etienne-Zimmer.