
|
30000 Kilometer südwärts
Vier Münchner wollen mit ihren Rädern die ganze Westküste
Amerikas abfahren
Richtig gezweifelt hat danach keiner mehr, sagen sie. Mehr als drei Jahre lang haben
die beiden Paare das Projekt dann geplant. Sie einigten sich auf die Route, auf den
Reisetermin 4. Oktober, machten Probetouren, ließen neue Räder zusammenschrauben.
Sie lernten ein bisschen Spanisch ("Das ist ja das Gute an der Strecke: Man kommt
mit zwei Sprachen aus - Englisch und Spanisch", sagt Bernd). Sie kündigten
alle Abos, Versicherungen, sogar ihre Mietverträge. Sie verräumten ihre Möbel
bei den Eltern, und jeder sparte 20 000 Mark - soviel wollen sie bis zum Frühjahr2003
maximal verbrauchen. Sie stellten ihre Reiseapotheke zusammen, die vom Acetazolamid
gegen Höhenkrankheit über Metoclopramid (bei Magenbeschwerden) bis zum Zahnreparaturwachs
alles enthält, was man irgendwie brauchen könnte. "Kleinere Operationen
könnten wir unterwegs selbst erledigen", sagt Bernd. Und seine Freundin Kerstin
erklärt, wieso sie auch Arterienklemmen und Skalpelle dabeihaben: "Wir sind
alle ausgebildete Krankenpfleger." Offenbar reist der Beruf also doch mit - und
mit ihm der Blick für Gesundheitsrisiken. "Natürlich wissen wir, dass
eine solche Reise gefährlich ist", sagt Kerstin, und Bernd zählt auf,
was alles passieren könnte: ein Auto könnte einen von ihnen zusammenfahren,
ein Dieb könnte sie ausrauben, dazu vielleicht noch Krankheiten, die man sich
wegen Erschöpfung holt. Ihr Testament hat sie jedenfalls gemacht, sagt Kerstin.
Nach solchen Überlegungen stellt sich die Frage nochmal: Was treibt vier Menschen
im Alter von 30 bis 36 auf eine solche Tour? Was gefällt jemandem daran, jeden
Tag dreißig Kilo Gepäck fortzubewegen? Bernd überlegt: Man habe das
Projekt durchaus pragmatisch angelegt - "romantisch war es jedenfalls nicht."
Ein Reiz ist wohl das Testen der eigenen Belastbarkeit: Wie viel Ausdauer bringt man
mit, wie viel erwirbt man bei der Tour? Nicht zufällig sind die vier Radler schon
seit Jahren im Gebirge unterwegs . Doch dazu kommt etwas, was sich vielleicht als Sehnsucht
nach Lebendigkeit beschreiben lässt: Man verabschiedet sich von den vielen Sicherheiten
einer deutschen Großstadt, man erfährt einiges aus einer anderen Welt -
und möglicherweise spürt man sich selbst genauer, wenn kein Alltag mehr existiert,
sondern jeden Tag eine Herausforderung wartet.
Dass die vier nach ihrer Reise zurückkehren, wissen sie übrigens heute schon.
Kerstin und Bernd werden sich im Frühjahr eine neue Wohnung und zwei neue Jobs
in München suchen; Elisabeth und Benedikt werden nach Kärnten ziehen, wo
Benedikt aufgewachsen ist. Ihre Reise durch Amerika ist also keine Emigration, sondern
eine Episode. "Wir werden sicher nicht dort bleiben", sagt Kerstin. "Dafür
hängen wir zu sehr an Deutschland und an Bayern."
Am 4. Oktober startet der Flug in die neue Welt. "Wir fliegen um 13.25 Uhr nach
Vancouver", sagt Bernd. Und dann stellt er die Schlussfrage, die den Daheimgebliebenen
ins Grübeln bringt: "Und was machen Sie so in den nächsten 15 Monaten?"
Gute Frage. Vielleicht ein bisschen neidisch sein auf vier Radler in Amerika.
Zurück
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|